EU-Leistungsbilanz falsch?

Wie die FAZ berichtet (14.1.2019, Nr. 11, S. 17), bestehen auf Seiten des Wissenschaftlichen Beirates des Bundeswirtschaftsministeriums und seines Vorsitzenden Hans Gersbach (ETH Zürich) „Zweifel an wichtiger EU-Statistik im Handelsstreit“ mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump.

Das dort beschriebene Problem resultiert aus unterschiedlichsten Konzepten, nach denen die Daten erhoben und verarbeitet werden, wobei die zur Leistungsbilanz (Current account) zählende Warenbilanz (Goods), neben der Datenerhebung selbst, den stärksten Beitrag einer in diesem Fall politisch zuungunsten der EU interpretierbaren statistischen Verzerrung liefern dürfte (Eurostat Statistics, “European Union and euro area balance of payments - quarterly data (BPM6)”).

Die Warenbilanz führt sämtliche meldepflichtigen Ex- und Importe auf Warenebene zusammen (z.B. Import von Kaffee, Export von Autos) – gemessen zum Zeitpunkt des Eigentumwechsels. Sie entspricht damit mehr oder weniger der Außenhandelsstatistik, die die Warenströme bereits beim Grenzübertritt statistisch erfasst (Werte, Mengen, Einheiten). Hieraus ergeben sich zwar Abweichungen (auch weil die Transportkosten unterschiedlich behandelt werden können), aber das entscheidende Problem liegt in der anschließenden Bildung länderübergreifender Aggregate, in diesem Fall der Berechnung des EU-Außenhandels, auch bekannt als Rotterdam-Effekt. Beispiel: Kaffee aus Kenia wird über Rotterdam nach Deutschland importiert. Das heißt, die Niederlande importieren zunächst den Kaffee aus Kenia, anschließend importiert Deutschland den Kaffee aus den Niederlanden. Für das Statistische Bundesamt kommt der Kaffee jedoch tatsächlich aus Kenia, denn hier werden die Daten nach dem Ursprungslandprinzip erfasst. Da natürlich auch die Niederlande diesen Kaffeeimport aus Kenia in ihrer nationalen Statistik führen, kommt es genau dann zu einer Doppelzählung, wenn anschließend diese Daten der nationalen Zahlungsbilanzen ohne Bereinigung der Doppelzählung zu einer Gemeinschaftswarenbilanz zusammengerechnet werden.

Um solche Doppelzählungen zu vermeiden, ordnet Eurostat den Strom der Importgüter für die EU-Außenhandelsbilanz nach dem sog. Versendelandprinzip. Der Kaffee für Deutschland kommt in der europäischen Statistik daher aus den Niederlanden, nicht aus Kenia. Der Import aus Kenia wird nur für die Niederländer notiert. Auf den Euro gerechnet spielen sicher noch weitere methodologische Feinheiten eine Rolle (etwa in der methodischen Erfassung von Warenbilanz- und Außenhandelsstatistiken sowie der Berechnungskonzepte auf US-Seite), dürften sich aber vor dem Hintergrund des beschriebenen Problems eher marginal auswirken.

Im Unterschied zur Warenbilanz mit 165 Mrd. EUR weist die EU-Außenhandelsstatistik im Warenaustausch mit den USA für 2017 nur einen Überschuss von 120 Mrd. EUR aus.

Dieser Wert korrespondiert im Ergebnis auch größenmäßig mit den „spiegelbildlichen“ US-Statistiken (2017, auf Mrd. EUR gerundet):

Export EU-US 376 Import EU-US 257 EU Überschuss 120
Export US-EU 252 Import US-EU 387 US Defizit -135


Quellen:
Eurostat Statistics, “EU-28 trade in goods by partner”
BEA: Bureau of Economic Analysis, “Table 2.3. U.S. International Trade in Goods by Area and Country, Not Seasonally Adjusted Detail”

Warum die Warenbilanz mit 45 Mrd. EUR einen nahezu 40% höheren Überschuss ausweist bleibt zunächst unklar. Das in diesem Fall zugrundeliegende Regelwert des IMF (International Monetary Fund, “Balance of Payments and International Investment Position Manual”) erkennt die Problematik jedenfalls und schlägt eine Kombination aus Ursprungs- und Versendelandprinzip vor. Das dürfte im Falle der EU der Datenqualität aber eher schaden: die Rechnung wird komplizierter, da der Handel innerhalb der EU-Staaten einem weiteren eigenständigen Regelwerk folgt.

In einem Report untersucht Eurostat mögliche Ursachen (Transatlantic trade in services: Investigating bilateral asymmetries in EU-US trade statistics).

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